800 Jahre Thomanerchor Leipzig
Kompositionen von Thomaskantoren
Ein Festkonzert mit dem Monteverdi-Chor Hamburg, dem Coro Latino Recklinghausen und dem Madrigalchor Recklinghausen in der Christuskirche Recklinghausen
Programm
CORO LATINO
J.Galliculus (um 1490-ca. 1550): „Officium de Resurrectione“
S. Calvisius (1556-1615): Choral „Allein zu dir, Herr Jesu Christ“
J. H. Schein (1586-1630): Choral „Wie schön leuchtet der Morgenstern“
Motette „Ich freue mich im Herren“
Motette „Da Jakob vollendet hatte“
T. Michael (1592-1657): Motette „Der Herr ist mein Hirte“
J. Kuhnau (1660-1722): Motette „Tristis est anima mea“
J. S. Bach (1685-1750) Choral „Lob und Preis sei Gott, dem Vater“
MONTEVERDI-CHOR HAMBURG
J. S. Bach: Motette „Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf“
MADRIGALCHOR RECKLINGHAUSEN
J. G. Harrer (1703-1755): Choralmotette „Mein Herz ist bereit“
J. A. Hiller (1728-1804): Sanctus I
J. G. Schicht (1753-1823): Motette „Alles, was Odem hat, lobe den Herrn“
Motette „Laßt uns mit ehrfurchtsvollem Dank“
MONTEVERDI-CHOR HAMBURG
- G. Schicht (1753-1823): Motette „Veni Sancte Spiritus“
- A. Hiller (1728-1804): Motette „Der Friede Gottes“
Ch. Th. Weinlig (1780-1842): „Gott ist mein Hort“
- M. Hauptmann (1792-1868): Motetten „Salvum fac regem“ / „Salve Regina“
- F. Richter (1808-1879): Psalm-Motette „Da Israel aus Ägypten zog“
- Schreck (1849-1918): Motette „Herr, sei mir gnädig“
- Thomas (1904-1973): Motette „Jauchzet Gott, alle Lande“
- Ch. Biller (geb. 1955): „Benedicamus“ und „Apostolischer Segen“
CORO LATINO + MADRIGALCHOR RECKLINGHAUSEN + MONTEVERDI-CHOR HAMBURG
J. S. Bach: Motette „Komm, Jesu, komm”
aus dem Programmheft:
Mit seiner 800-jährigen Tradition gehört der Thomanerchor Leipzig zu den ältesten Chören im deutschen Sprachraum. Von Kaiser Otto IV. im Jahr 1212 urkundlich gegründet, stand er unter der Obhut der Augustiner-Chorherren des Klosters St. Thomas in Leipzig, die die jungen Sänger in ihrer Klosterschule unterrichteten. Den Schülerchor leitete zunächst ein Geistlicher, bevor dann 1435 der erste offizielle Kantor an die Thomasschule verpflichtet wurde. Als wichtigste Quelle der kirchenmusikalischen Praxis jener Zeit erweist sich das sogenannte Thomas-Graduale, eine Sammlung einstimmiger lateinischer Choräle, die an den Sonn- und Feiertagen im Hochamt geungen wurden. Die erste Aufführung eines mehrstimmigen Werkes ist für das Jahr 1519 nachgewiesen, eine zwölfstimmige Messe, die von Georg Rhau, Thomaskantor von 1518-20, komponiert wurde…
Wir freuen uns, Ihnen heute Abend einen musikalischen Querschnitt der komponierenden Thomaskantoren bieten zu können, der mit einem werk des aktuellen Thomaskantors, Georg Chrstoph Biller, enden wird…
(Wolfgang Fromme)
Recklinghäuser Zeitung, 30.04.2012
Gesang als „Über-Instrument“
Chöre vereinigten sich in der Christuskirche
VON STEFAN PIEPER
RECKLINGHAUSEN Mit stolzen 800 Jahren seines Bestehens gehört der Leipziger Thomanerchor wohl zu den ältesten noch bestehenden Institutionen überhaupt. Vermutlich weltweit. Also überspannt dieser Chor vermutlich einen Löwenanteil der abendländischen Musikgeschichte – weit über Johann Sebastian Bach hinaus, der zwischen 1723 und 1750 zum allerprominentesten Leiter dieses Klangkörpers wurde. Grund genug also, .das Bestehen dieser Institution durch Konzerte überall im Lande zu feiern. Und dafür wurde in der Christuskirche Großes aufgeboten.
Der Recklinghäuser Coro Latino zeigte, dass er auch überregional jedem höchsten Vergleich stand hält, also auch mit dem renommierten Hamburger Monteverdichor auf Augenhöhe operieren kann.
Ebenso konkurrenzfähig zeigte sich der Recklinghäuser Madrigalchor Aber es ging in der Christuskirche doch um alles andere als um Konkurrenz, sondern viel mehr um gemeinsame Vervollkommnung, spätestens als sich alle Chöre der finalen Bach-Motette ,,Komm, Jesu, komm“ zusammenschlossen. Und die spezielle Architektur der Christuskirche mi t ihren vier einander gegenüberliegenden Emporen spielte dabei eine ebenso tragende Rolle: Alles scheint von überall zu kommen, sodass sich die vielen, so homogen phrasierenden Stimmen oft zu einem einzigen Über-lnstrument zu vereinigen schienen. Und doch bleibt jede Stimme und jedes Detail frappierend transparent.
Chronologisch streng zeichnet dieser festliche Abend historische Entwicklung des geistlichen Musiklebens an der Thomaskirche nach. Die intensivsten Momente stehen direkt am Anfang mit jener spannungsgeladenen, heute so mystisch, weil nach wie vor sehr unverbraucht wirkenden Vokalpolyphonie der ausgehenden Renaissance. Hier ist die Herrschaft einzelner Melodien und vor allem von Dur-Moll-Tonalität noch weit weg – das setzt diese faszinierenden Schwebezustände frei. Die Geschichte dreht sich weiter. Im Zuge der Reformation wandelt sich die Sprache, von nun an ist alles auf deutsch und daher auch für einfachen Menschen verständlich, etwa in den Chorälen von Johannes Herrman Schein oder Motetten von Johann Kuhnau. Neuzeit und schließlich die Moderne folgen. In der Christuskirche gipfelt dies in dem überwältigenden, wagemutigen Klangfarbenreichtum einer Komposition von Georg Christoph Biller, der seit 1992 Thomaskantor in Leipzig ist und dieses bald ein Jahrtausend alte Amt aus dem Geist der Gegenwart heraus gestaltet.
Aber wie sich einst alles auf den ganz Großen, nämlich Bach zu bewegte, so geht auch fast alles weitere von ihm aus, zumindest in der geistlichen Musik, aber auch sehr weit darüber hinaus. Also musste dessen kolossale, von extremer Empfindungstiefe durchdrungene Motette ,,Komm, Jesu Komm“ diese historische Gesamtschau wie ein Fazit beschließen.